Sonntag, 22. Juli 2007

Familienpolitik: Die Agrargesellschaft als Vorbild

Inhalt dieses Beitrages: Die Familie, nicht die Berufsarbeit, muß wieder das Gravitationszentrum unserer Gesellschaft werden. Nicht die Familie muß sich an die Berufsarbeit, nein, die Berufsarbeit muß sich an die Erfordernisse der Familie anpassen.

Auf dem Netztagebuch von Michael Blume sind einige Diskussionen geführt worden (1, 2, 3), von denen wenigstens die letzten wichtigeren Beiträge, in denen man auch einem selbst neue Gedanken geäußert hat, hier eingestellt werden sollen:

Es wird künftig eine neue Gesellschaftsform kommen, in der nicht mehr die Berufsarbeit das Gravitationszentrum unserer Gesellschaft sein wird wie in den letzten Jahrzehnten (Stud. gen.), sondern dieses Gravitationszentrum wird - wie früher - wieder die Familie sein.

Wenn man sich die agrarische Gesellschaft anschaut - das wird einem erst jetzt klar -, dann ist in dieser alles strukturiert danach, daß Menschen Kinder haben. Um diese Tatsache herum ist das ganze Leben, die Arbeit, die Wirtschaft, das Sozialleben und so vieles andere gegliedert und strukturiert. Hier ist das eigentliche Gravitationszentrum dieser vorindustriellen Gesellschaft. Deshalb ist diese auch so kinderfreundlich. Deshalb erscheint uns ländliches Aufwachsen von Kindern auf dem Bauernhof geradezu als die idealste Form von Kindheit.

Die bürgerliche Gesellschaft war noch nie wirklich "kinderfreundlich"

Und das wird auch künftig wieder kommen. Die bürgerliche Gesellschaft hat nie richtig berücksichtigt, daß die Kinder, die sie "verbrauchte", bis Mitte des 20. Jahrhunderts vornehmlich auf dem Land aufgewachsen waren. Sie hat sich deshalb darüber nie groß Gedanken gemacht. Es waren immer genug Kinder da, die auf dem Land aufgewachsen waren. Heute gibt es keine agarische Schicht mehr im Westen.

Auch wenn man sich die Raumordnung in Städten anschaut, die Architektur und vieles mehr, dann sieht man, daß dort überall an alles gedacht wurde, an wirklich alles, nur an eines nicht: an Kinder. Die hier und dort eingestreuten Kinderspielplätze sind die Feigenblätter modernen Großstadt-Lebens. Ebenso - und komplementär dazu - die Altersheime.

An Stelle dessen haben wir überall Autos. Autos, Autos, Autos. Der berufliche Arbeitsplatz räumlich, psychologisch und in jeder nur denkbaren anderen Hinsicht vollständig getrennt von allem, was mit Familie und Kindern zu tun hat. Die Familie nicht mehr Mittelpunkt und Gravitationszentrum des gesellschaftlichen Lebens, sondern ebenso am Rand der Gesellschaft wie auch Arbeitslose am Rand der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Anerkennung stehen. (Stud. gen.)

Das hat keine Zukunft. Da kann man sich doch einigermaßen sicher sein. Die künftige Gesellschaft wird entweder eine kinderfreundliche Agrargesellschaft sein (so wie nach der Antike) (was also ein gewaltiger Rückschritt wäre) oder es gelingt, eine kinderfreundliche Dienstleistungsgesellschaft zu schaffen, in der die Familie im Mittelpunkt steht und nicht irgendwelche riesigen Bürohochhäuser und nicht das Auto (- ... "der Deutschen liebstes Kind") und nicht die ehe- und kinderfeindliche Reizüberflutung.

Es scheint nicht, als ob es irgendwelche Sachzwänge wären, die uns heute noch daran hindern. Es ist nur unsere traditionelle, nicht genug innovationsfreudige Psyche, die das gegenwärtig noch verhindert.

Michael erwiderte darauf unter anderem:
... Vielleicht nur ein Detail (das aber nicht gegen Deine These spricht): in einer Agrargesellschaft bekam (und bekommt) man die Kinder auch aus wirtschaftlichen Gründen - sie sind Arbeitskräfte und Altersversorgung.

"Kinderfreundlich" ist das nicht unbedingt und ich rate, nicht auf die "idyllischen" Projektionen von uns Städtern hereinzufallen. Wo immer es die Möglichkeit gab und gibt, fliehen junge Menschen vom (vorindustriellen) Land in die Stadt. Denn die Armut, Arbeitslast, soziale Enge und hohe Sterblichkeit gerade von Müttern und Kindern auf dem Land war "einer" der Gründe für die hohe Kinderzahl: man hatte sechs Kinder in der Hoffnung, dass drei erwachsen und zwei wirtschaftlich erfolgreich genug für die eigene Altersversorgung sein würden.

Insofern hast Du Recht: Adenauers malthusianischer Irrtum bildet einen Teil des deutschen, demografischen Problems. ...
Der Autor dieser Zeilen schrieb dazu:

Kennst Du "Die Heiden von Kumerow" von Ehm Welk? Kennst Du die Romane von Peter Rosegger? Beides Schriftsteller, die selbst auf dem Land aufgewachsen sind, in die Stadt gezogen sind, und dennoch insgesamt eine wunderbare Kindheit schildern, ja praktisch Prototypen gelungener Kindheiten ("Als ich noch der Waldbauernbub war ...").

Die Roseggers waren arm. Und fast alle Menschen in Roseggers Romanen sind arm. Alles arme Hunde. Und doch eine Welt voller Licht und Wärme, voller Güte neben all den bäuerlichen Verfallserscheinungen, die zumindest Rosegger nie verschwiegen hat, sondern im Gegenteil angeklagt hat.

"Arm aber glücklich": Bäuerliche Lebensverhältnisse

Also etwa so: Der Armut vorindustrieller Lebensverhältnisse stand eine von tiefer Religiosität geprägte, seelisch wertvolle Lebenseinstellung der Mehrheit der Menschen gegenüber: "Arm aber glücklich." So hieß mal ein Diavortrag eines polnischen Fotografen über abgelegen lebende Volksstämme und Ethnien, der sehr eindrucksvoll war. Auch dieser Fotograf, so hatte man das Gefühl, hatte eine solche Kindheit erlebt.

Auch ich bin auf dem Land aufgewachsen. Und ich weiß auch, wovon ich rede. Allein schon eine Umwelt, in der Kinder aus dem Haus laufen können, ohne daß man Angst haben muß, sie geraten unter die Räder, allein schon dieser Umstand schafft eine völlig andere Atmosphäre.

Rosegger hat schon als kleiner Junge auf dem Hof mithelfen müssen, na klar. Und die Kinder machen das gern! Ich hab das auch gern gemacht. Es ist ein spielerisches Hineinfinden in den Ernst des Lebens. Wie stolz war ich, als ich zusammen mit meinem Freund einen ganzen Heuwagen allein aufgeladen hatte. Er fuhr den Trecker und ich stapelte die Heuballen. Es war eine Sauarbeit. Denn sonst macht man so etwas zu zweit oder zu dritt hinten auf dem Wagen.

Franz von Defregger (1835 - 1921) - der Maler einer kinderfreundlichen Gesellschaft
Hier: "Der Besuch" (1875)

Wie schön war es immer, wenn die Bauersfrau dann raus aufs Feld gefahren kam, ein ganzes Blech voller Bienenstich, große Tassen Kaffee und dann saßen alle zusammen im Schatten eines Baumes, völlig verschwitzt, verdreckt, verstaubt - aber glücklich. Glücklich, gemeinsam arbeiten zu können, glücklich, die Ernte im Sonnenschein hereinbringen zu können - und so vieles andere mehr.

Die Kinder gehörten einfach vollständig dazu. Sie waren Teil des Lebens. Und sie waren stolz auf dieses Leben. Ihr Leben.

Natürlich floh ich auch in die Stadt. Das ist das "Übermut-Prinzip". Man fühlt sich - nach einer solchen Kindheit - stark genug, auch in der seelenlosen Stadt sich seine Seele bewahren zu können. Aber dort nutzt sie sich - dennoch - ab. In früheren bürgerlichen Generationen war man sich dessen noch mehr bewußt als heute. Gerade deshalb waren in diesen die Bauernromane so populär.

Ein solcher Irrtum wäre Bismarck nicht passiert

Exakt richtig zu Adenauer. Kinder sind früher Rentenversicherung gewesen. Und das wollten die Sozialreformer Mackenroth und Schreiber durch einen Familienlastenausgleich den Stadt-Menschen wieder bewußt machen, daß dies auch heute noch so ist. Und dazu sagte Adenauer in völliger Verkennung der wesentlichsten Zusammenhänge: "Kinder bekommen die Leute von alleine."

Ein solcher Irrtum wäre Bismarck nicht passiert. Da bin ich mir sicher.

Deutschland war immer schon weltweit das fortschrittlichste Land was Sozialpolitik betrifft. Mit den Sozialreformern Mackenroth und Schreiber hätte es schon damals wieder vorbildlich werden können für all die anderen europäischen Länder.

Vielleicht gelingt es - endlich - heute? Aber um anderen Ländern voran zu marschieren statt ihnen hinterher zu laufen, dazu müßten von der Leyen und Merkel noch viel lernen. Sehr viel. Und vor allem: Viel mehr Mut haben. Mindestens so viel Mut wie Bismarck.

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