Dienstag, 8. April 2008

Ina Wunn's Beitrag zur Religionsbiologie

Am 15. Mai wird die deutsche Sektion der anglo-amerikanischen "Templeton Foundation" in Frankfurt am Main einen "Workshop" für Biologie- und Religionslehrer zum Thema "Evolution der Religionen" veranstalten.

Von den dortigen Referenten scheint mir die Bielefelder Religionswissenschaftlerin Ina Wunn besonders lesenswert zu sein. Und darauf möchte ich hier kurz hinweisen. (Sie ist übrigens auch als Kommunal-Politikerin für die FDP in Niedersachsen tätig.) Ihre Habilitation von 2002 "Die Evolution der Religionen" ist frei im Internet als pdf.-Datei herunterladbar. Sie referiert dort zwar fast nur Theorie, nur sehr wenig (religionsgeschichtliche) Empirie. Aber die Stärke der Arbeit besteht darin, daß sie wichtigere Evolutionsdeutungen zur Religion des Menschen aus dem gesamten 19. und 20. Jahrhundert referiert. Also nicht nur Charles Darwin und seine Traditionslinie werden referiert, in die man ja nicht nur Richard Dawkins, sondern wohl - cum grano salis - auch Michael Blume wird einordnen dürfen, sondern insbesondere auch der Begründer des Positivismus, Auguste Comte und seine seine Traditionslinie, die über Herbert Spencer und Denker des 20. Jahrhunderts ebenfalls bis in unsere Zeit reicht.

Und diese denkerische Traditionslinie birgt doch so manchen fruchtbaren Gedanken, so inbesondere das "Dreistadien-Gesetz" Auguste Comte's und alle späteren Ableitungen, die sich daraus ergeben haben. Leider nimmt Ina Wunn bei der Formulierung ihrer eigenen Theorie auf diese Traditionslinie dann so gut wie keinen Bezug mehr (so weit ich sehe). Doch sich gerade auch von diesen Gedanken anregen und inspirieren zu lassen und zu versuchen, sie an das heute bekannte empirische und theoretische Material (aus der Humangenetik, Soziobiologie und Historischen Demographie) noch enger heranzuführen, könnte man für außerordentlich spannend und sinnvoll halten.

Kritikpunkte

Zu kritisieren sind aus meiner Sicht an der Arbeit von Ina Wunn zunächst vor allem zwei Punkte:

1. Im Mittelpunkt steht bei Ina Wunn eher die "Evolution der Religionen" (wie der Titel sagt) und nicht die Evolution menschlicher Religiosität an sich. - Der Unterschied besteht meiner Meinung nach in folgendem: Äußere Formen der Religion sind ja recht leicht von der (wissenschaftlichen) Vernunft erfaßbar und vergleichbar. Wenn man diese äußeren Formen erforscht, gerät aber das Zentrale aller menschlichen Religiosität, von dem in letzter Instanz - zumindest im Selbstverständnis aller religiösen Menschen - auch alle äußere "Religion" bestimmt ist, allzu leicht an die Randbereiche der wissenschaftlilchen Aufmerksamkeit.

Menschliche Religiosität ist ja wohl vor allem gerade dadurch definiert, daß sie in Bereichen wurzelt, die gerade jenseits der menschlichen Vernunft, der Ratio, jenseits der von den Indern "Maya" genannten Erscheinungen angesiedelt ist. Sie hat also viel mehr zu tun mit solchen Phänomenen: Ehrfurcht, Intuition, Erleben, Gefühl, ("Weltgefühl"), "Romantik", Empathie (für lebendige und tote Dinge), Kreativität, Empfindsamkeit, ja, Intimität. - Denn das persönliche Verhältnis des Menschen zu Gott oder zum Göttlichen kann eben doch auch ein sehr persönliches, "intimes" sein, in das er all jene besonders wenig hineinschauen läßt, von denen er glaubt, daß sie sowieso keinen rechten Zugang dazu haben. Deshalb kann menschliche Religiosität mitunter auch gerade das sein, was sich in äußeren Formen am wenigsten kund tut. Das muß einem bewußt bleiben. Ansätze zu solchen Gedanken finden sich aber bei Ina Wunn wohl nur wenige.

2. Von vornherein stellt Ina Wunn klar, daß sie an der religionswissenschaftlichen Perspektive auf die Thematik interessiert ist und nicht an der soziologischen. Viele der wesentlichsten Denker, die sie behandelt, sind aber gerade nicht vornehmlich an Religionswissenschaft, sondern an Soziologie interessiert. Sie fragen also noch allgemeiner nach Gesetzmäßigkeiten, nach denen menschliches Zusammenleben, zumal in arbeitsteiligen Gesellschaften funktioniert oder idealerweise funktionieren sollte, als das die Religionswissenschaft tut. Durch eine gleichgewichtige religionswissenschaftliche und soziologische Perspektive auf die Thematik könnte sicherlich noch viel gewonnen werden. Als ein guter Ausgangspunkt dazu scheint mir der Soziologe Guy Swanson zu sein, auf den ich schon gelegentlich hier hingewiesen habe. Er wird in der über 500-seitigen Arbeit von Ina Wunn gar nicht genannt. Aber vielleicht wird das ja einmal von einer derzeit nachwachsenden Soziologen-Generation nachgeholt?

Es könnte sich künftig darum handeln, die Traditionslinie von Darwin mit der stärker soziologisch orientierten Traditionslinie von Comte und Spencer in engeren Zusammenhang zu bringen bei der Deutung der Evolution menschlicher Religiosität. Zumal aus der Sicht der modernen Theoreme der Soziobiologie könnte sich hier mancherlei Fruchtbares ergeben.

Religionsbiologie: Nur Evolution "als ob" oder schlicht: Evolution?

Die beiden genannten Kritikpunkte wirken sich übrigens auch auf die eigene Theorie von Ina Wunn zur Evolution der Religionen aus. Sie setzt die Neuentstehung einer Religion mit der "Artbildung" in der Evolution parallel und vergleicht die Selektionsprozesse, die zwischen den verschiedenen Religionen nun stattfinden, mit dem Selektionsprozeß zwischen den Arten in der biologischen Evolution. Für einen Biologen auf den ersten Blick nicht gerade besonders "umwerfend", für traditionelle Religionswissenschaftler aber offenbar noch.

Natürlich geht sie noch nicht so weit, was ja heute immer plausibler geworden ist, nämlich zu sagen, daß Evolution von Religion/Religiosität schlicht Evolution ist auf allen Ebenen, auf denen auch sonst Evolution und sozialen Evolution stattfindet. Aber im Grunde nähert sie sich doch schon sehr an die Deutung der Evolution menschlicher Religiosität durch Gruppenselektions-Prozesse an. Den Begriff "Gruppenselektion" erwähnt sie zwar gelegentlich, geht hier aber nur bis Donald Campbell, nicht bis zu den neueren soziobiologischen Diskussionen und nimmt dann auch auf diesen bei dem Entwurf ihrer eigenen Theorie keinen Bezug mehr.

Es mangelt also auch noch der Bezug zu den aller neuesten soziobiologischen und religionsbiologischen Diskussionen. Aber das wird sich ja künftig noch nachholen lassen.

(Ich wollte mit diesen Ausführungen auf diesen Beitrag Ina Wunn's hinweisen, nicht erschöpfend behandeln oder kritisieren. Zu letzterem müßte man sich ihn noch gründlicher anschauen, als ich das hier tun konnte.)

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