Dienstag, 27. Februar 2018

Bandkeramik, Wildkatzen und Hausmäuse

Kamen syrische Wildkatzen als Kulturfolger nach Mitteleuropa?

Nach einer neuen polnischen ancientDNA-Studie (1) treten zwischen 3.500 v. Ztr. und 2.000 v. Ztr. Wildkatzen des Vorderen Orients (Felis silvestris lybica) (Wiki) im Umfeld von bäuerlichen Siedlungen in Mitteleuropa auf. Das deutet darauf hin, daß syrische Wildkatzen als Kulturfolger mit den ersten bäuerlichen Kulturen, die Rinderwagen benutzten, aus dem Mittelmeerraum nach Mitteleuropa kamen.

Abb. 1: Ausbreitungsgebiete der europäischen Wildkatze (grün), sowie der vorderorientalischen Wildkatze (braun), aus der die heutige Hauskatze hervorging (ebenfalls braun) (aus: 1)

Anhand dieser Erkenntnisse kann nun genauer eingegrenzt werden, wie sich die mutmaßliche Hauptbeute dieser syrischen Wildkatze ausbreitete in Mitteleuropa, nämlich die Westeuropäische Hausmaus, die zugleich die vorderorientalische Hausmaus ist. Darüber wird in der neuen Studie gar nichts gesagt, aber es kann dazu gesagt werden, daß Voraussetzung des Aussterbens der syrischen Wildkatze in Mitteleuropa um 2.000 v. Ztr. das gleichzeitige Aussterben der westeuropäischen Hausmaus in Mitteleuropa gewesen sein wird.

Aber um 4.300 v. Ztr. findet sich die osteuropäische Hausmaus schon in Varna in Bulgarien, wo zugleich die ersten Indogermanen feststellbar sind. Mit ihnen wird sie sich dann in den Folgejahrhunderten weiter nach Westen ausgebreitet haben, nachdem dort um 2.000 v. Ztr. sowohl die syrische Wildkatze als auch ihr Beutetier, die westeuropäische Hausmaus vorläufig wieder ausgestorben sein werden.

Vielleicht die indogermanische, westeuropäische Glockenbecherkultur brachte dann die westeuropäische Hausmaus um 2.300 v. Ztr. nach Südengland - oder ihre frühbronzezeitliche Nachfolgekultur. In dieser Zeit des Spätneolithikums oder der Frühbronzezeit breiteten sich vermutlich osteuropäische und westeuropäische Hausmaus so in Europa aus, daß sie die heutige Artgrenze von der Adria über den Bayrischen Wild gen Norden ausbildeten. Vieles deutet darauf hin, daß das Schwanken des Auftretens der Hausmaus - wie schon im Frühneolithikum im Vorderen Orient - auch in Mitteleuropa mit der jeweiligen Siedlungsdichte korreliert (quasistädtische Siedlungsweise und überregionaler Handelsaustausch).

Die domestizierte Katze kam nach derzeitigem Kenntnisstand erst mit den Römern wieder nach Mitteleuropa. Zwischen 2.300 v. Ztr. bis 100 v. Ztr. könnte also nach derzeitigem Forschungsstand als Hauptfeind der Hausmäuse in Mitteleuropa die europäische Wildkatze in Betracht gezogen werden.

Ergänzung 15.7.2020: Nach neuen Isotop-Untersuchungen lebten die genannten Syrischen Wildkatzen halbwild im Umfeld der menschlichen Siedlungen, ernährten sich nicht nur von Hausmäusen, sondern auch von Wildmäusen und wurden nicht von den Menschen gefüttert (5).

/ Korrektur der Datierungen: 
29.5.2020 /
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*) Ich hatte ursprünglich bei der Datierung statt BP BC gelesen!!!! (Holzauge, sei wachsam!)
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  1. Human mediated dispersal of cats in the Neolithic Central Europe, Preprint, February 2018, DOI10.1101/259143; Autoren: Mateusz Baca, Danijela Popovic, Hanna Panagiotopoulou, Adam Nadachowski u.a., https://www.biorxiv.org/content/early/2018/02/05/259143, (Researchgate) - Published: 28 March 2018, in: Heredity, Heredity volume 121, pages 557–563(2018), doi: 10.1038/s41437-018-0071-4, https://www.nature.com/articles/s41437-018-0071-4.
  2. Bading, Ingo: Die weltgeschichtliche Bedeutung der bandkeramischen Kultur. 22.1.2009, https://studgendeutsch.blogspot.com/2009/01/die-weltgeschichtliche-bedeutung-der.html
  3. Kriegs, Jan Ole; Vierhaus, Henning (2016): Kleinsäugernachweise in Sedimenten der prähistorischen undhistorischen Emscher. In: Bodenaltertümer Westfalens, https://www.researchgate.net/publication/286452764_K leinsaugernachweise_in_Sedimenten_der_prahistorischen_und _historischen_Emscher
  4. AT Clason: The animal bones of the Bandceramic and Middle Age settlements near Bylany in Bohemia. Published 1970-12-15 in: Palaeohistoria 14, 1968 (1970), https://ugp.rug.nl/Palaeohistoria/article/view/25009, https://rjh.ub.rug.nl/Palaeohistoria/article/viewFile/25009/22469
  5. Nadja Podbregar: Wie lebten die Vorfahren unserer Hauskatzen?, 13. Juli 2020, https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/wie-lebten-die-vorfahren-unserer-hauskatzen/

Donnerstag, 15. Februar 2018

Altruismus und Tierstaaten - In welchen Erdepochen evoluierten sie in der jeweiligen Tiergruppe?

Datierungen anhand der Fossilgeschichte und der Genomvergleiche

Wenn man sich mit den Details der Monogamie-These von Jacobus Boomsma beschäftigt wie sie aus der Erforschung der sozialen Insekten hervorgegangen ist und in den letzten zehn Jahren auf zahlreichen Gebieten Bestätigung erfahren hat (siehe früherer Blogbeitrag), beginnt man sich auch für die konkreten Erdepochen zu interessieren, in denen die sozialen Insekten evoluiert sind, bzw. in denen altruistisches Verhalten ganz allgemein evoluiert ist. Das wird anhand von Fossilien und molekularer Uhr in ganz eigenen Forschungsbereichen erforscht. Und man braucht - natürlich - eine ganze Weile, bis man sich in einen solchen einigermaßen befriedigend eingearbeitet hat. Auch ist das Bild, das die Forschungen auf diesem Gebiet ergeben, noch keineswegs lückenlos und überall in sich widerspruchsfrei und eindeutig.

Im folgenden sollen einmal überblicksartig ein paar Einblicke gegeben werden dahin gehend, in welchen Erdepochen eigentlich altruistisches Verhalten bei Insekten, Säugetieren und Vögeln evoluiert ist. Womöglich kann dieser vorliegende Blogartikel künftig noch inhaltlich überarbeitet und ergänzt werden. Der Schwerpunkt liegt im folgenden zunächst auf den Insekten.

Die Insekten gehörten zu den frühesten Eroberern des Landes und der Luft. Sie entstanden im Späten Silur vor etwa 420 Millionen Jahren (1, S. 1). Das Leben im Meer wies zu jener Zeit schon viel Ähnlichkeit auf mit dem heutigen Leben im Meer. Es gab schon Knochenfische und Korallen. Aber das Leben an Land (auf den beiden Superkontinenten Laurussia und Gondwana) stellte sich noch völlig anders da als heute: Außer Insekten gab es nur noch skorpionähnliche Spinnen und einige sehr einfache Landpflanzen. Diese einfachen Landpflanzen standen den heutigen Bärlapp-Arten nahe ("Cooksonia") (s. a. Wiki). Also schon lange bevor Amphibien, Reptilien und Säugetieren auf der Erde entstanden und sich entfalteten, gab es auf ihr Insekten. Sie gehören also zu den ursprünglichsten Tiergruppen auf dem Land und in der Luft.

Auch waren sie von den zahlreichen Aussterbe-Ereignissen - insgesamt gesehen - weniger betroffen als andere Tiergruppen. Zumindest auf der Ebene von "Ordnungen" haben sie nur wenige solcher zu Aussterbe-Ereignisse zu verzeichnen. Dagegen sind viele moderne Insekten-Ordnungen schon vor 250 Millionen Jahre entstanden. Viele heutige Insekten-Familien sind vor 110 Millionen Jahren entstanden (1). Zum Vergleich: Die modernen Ordnungen der Säugetiere sind deutlich jünger, nämlich weniger als 65 Millionen Jahre alt. Die Insekten entwickelten das Fliegen außerdem hunderte von Millionen Jahren vor den Pterosauriern und den Vögeln (1).

Abb. 1: Der Artenstammbaum der Ameisen im Verlauf der Erdepochen
Herkunft: (Ameisen-Wiki)

So "fremd" uns deshalb auch die Insekten als Tiere sein mögen. Man hat es bei ihnen mit einer außerordentlich interessanten und erfolgreichen Tiergruppe zu tun. Die Bauplan-Evolution der Insekten weist insgesamt - wie eben dargestellt - viel mehr Stasis ("Stillstand") in ihrer evolutionären Geschichte auf als jene bei den Wirbeltieren, wo es im Vergleich dazu noch viel mehr Umwälzungen und Neuerungen gegeben hat. Doch in ihrem Verhalten haben sie noch viele Weiterentwicklungen erfahren und erwiesen sie sich erstaunlich anpassungsfähig.



Abb. 2: Evolution der Insekten in der Kreidezeit, als die Blütenpflanzen dominant wurden (aus: 14)

In der Grafik einer neuen Studie (14) (Abb. 2) wird schön heraus gearbeitet, welche Veränderungen sich in der Insekten-Evolution ergeben haben dadurch, daß die Blütenpflanzen (die Angiospermen) in der Hochzeit der Dinosaurier, in der Mittleren Kreidezeit zu den dominierenden Landpflanzen auf der Erde wurden und in dieser Hinsicht die Nacktsamer (Nadelbäume, Gymnospermen) abgelöst haben. In dem Zusammenhang gibt es auch viele Theorien, daß die Blütenpflanzen erst im Wechselspiel mit Insekten zu jenen Blütenpflanzen evoluierten, die sie heute sind. Allerdings sind auch viele Insektenarten, die an Nacktsamer angepaßt waren, heute ausgestorben. Einige von ihnen haben mit ihren Anpassungen an Nacktsamer auch überlebt bis heute. (Schließlich gibt es ja heute immer noch Nadelbäume.) Vielen Insektenarten gelang die Neuanpassung von Gymnospermen zu Angiospermen. Und schließlich sind viele Insektenarten ganz neu evoluiert mit den Blütenpflanzen.

Moderne Formen von Altruismus evoluierten während der Hochzeit der Dinosaurier und nach ihrem Aussterben

Nach heutigem Forschungsstand ganz grob zeitlich parallel zu einem der vielleicht wichtigsten evolutionären Umbrüche in der Geschichte der Wirbeltiere, nämlich zu der Entwicklung der Säugetiere, der Vögel und der Blütenpflanzen in der Kreidezeit vollzog sich nun auch - in der Hochzeit der Dinosaurier - bei den Insekten der bislang bedeutendste und letzte große evolutionäre Umbruch: der Übergang zahlreicher Insekten-Arten von solitärer Lebensweise zur Bildung gemeinschaftlicher Nester mit "Helfern am Nest" und von dort weiter zur Staatenbildung. Das heißt zum "Superorganismus" mit einer Trennung von "Keimbahn" und "Soma" wie in jedem vielzelligen Organismus aufgrund einer der erstaunlichsten Formen von Altruismus im Tierreich: Der Ausbildung von spezialisierten, auch im Körperbau gegenüber der Königin unterschiedlichen "Kasten".

Diese  Kasten sind emsig - und oft ausgesprochen intelligent - tätig in "Säuglingsheimen", "Kitas", "Schulen", im Pilz-Anbau (Ackerbau), als Soldaten in der Kriegsführung und Verteidigung, als Sammler von Nahrung und in vielfältigen anderen Tätigkeiten - zum Wohl und Gedeihen des Staates, dem sie angehören und vor allem: unter dauerhaftem Verzicht auf das Leben eigener Geschlechtlichkeit und Fortpflanzung.

Im Fossilbericht gibt es zwar Hinweise, daß Termiten schon im Jura Staaten gebildet haben. Diese Arten scheinen jedoch alle ausgestorben zu sein. Die heutigen Termiten auf der Südhalbkugel haben sich erst vor 30 Millionen Jahren von Afrika aus ausgebreitet (siehe unten).

Man darf womöglich sagen, daß alle modernen Formen von Altruismus im Tierreich, die in der Soziobiologie so umfangreich erforscht werden (und vor ihr in der Klassischen Verhaltensforschung), und die auf Seiten des Menschen so viel Bewunderung hervorrufen - abgesehen von vielleicht den Termiten -, sich im wesentlichen im "Schatten" der Dinosaurier sowie nach ihrem Aussterben entwickelt und entfaltet haben.

Abb. 3: Stammbaum der Körbchensammler-Bienen (Wiki) mit repräsentativen Fossilien einer Vielfalt von tertiären Lagerstätten basierend auf der Analyse von 51 morphologisch erwachsenen externen und internen Skelettmerkmalen. Schwarze Linien: nicht-eusoziale (solitäre oder kommunale) Arten; gelbe primitive eusoziale Linien (die z. B. keine morphologisch spezialisierte Arbeiter-Kaste aufweisen); rote fortgeschrittene eusoziale Linien. Fossilien, die morphologisch Arbeiter darstellen, sind mit grün gekennzeichnet. Die meisten fossilen Gattungen sind nicht monotypisch (z. B. hat Genus B fünf Arten, Genus C vier Arten)

Vor 110 Millionen Jahren, in der Hochzeit der Dinosaurier, kam es also, wie gesagt zur Arten-Entfaltung sowohl der Vielfalt der Blütenpflanzen wie der auf sie bezogenen Insekten, insbesondere auch der Ameisen (Abb. 1). Die älteste bekannte fossile Ameise ist 130 Millionen Jahre alt (Ameisen-Wiki). Zur evolutionären Geschichte der Ameisen können derzeit etwa 250 fossile Ameisen erforscht werden, die sich im Bernstein erhalten haben (Ameisen-Wiki). 

Ergänzung 1.3.2022: Eine in Bernstein eingeschlossene, neu entdeckte Ameisenart, die vor 100 Millionen Jahre lebte, wies auch schon Arbeitsteilung auf (15), lebte also auch schon eusozial.

Vor 100 Millionen Jahren: Eusoziale Ameisen

Die älteste bekannte fossile eusoziale Biene stammt aus der Späten Kreide, ihr Alter wird auf 92 bis 75 Millionen Jahren datiert. Aufgrund der Evolutionsgeschichte der Blütenpflanzen kann die Evolution eusozialer Bienen auf die Mittlere Kreide vor 110 Millionen Jahren zurück datiert werden, aufgrund weiterer Überlegungen sogar auf die Frühe Kreidezeit vor 120 oder 130 Millionen Jahren (Wiki) (Hervorhebungen nicht im Original):

Heutige Bienen sind auf Blütenpflanzen, die Bedecktsamer (Angiospermen), angewiesen, die in der Erdgeschichte in der frühen Kreidezeit auftauchten und seit der späten Kreidezeit die Nacktsamer und Gefäßsporenpflanzen verdrängten. Blütenpflanzen aus der Zeit vor etwa 110 Millionen Jahren weisen bereits Merkmale auf, die auf eine Bestäubung durch Bienen schließen lassen, der Ursprung der Bienen liegt damit wahrscheinlich schon vor Mitte der Kreidezeit. Möglicherweise waren diese Pflanzen aber schon früher verbreitet, lassen sich durch die geringeren Mengen produzierten Pollens nicht nachweisen. Die heutigen ursprünglichsten Blütenpflanzen werden von Käfern bestäubt, es liegt daher nahe, diese auch als Bestäuber der ersten kreidezeitlichen Blütenpflanzen zu vermuten. Im weiteren Verlauf der Stammesgeschichte haben sich aber Bienen und Blütenpflanzen gemeinschaftlich entwickelt und gegenseitig gefördert: Indem Bienen die Pollen von Pflanze zu Pflanze weiter trugen, verbesserten sie deren Fortpflanzungschancen. Die Pflanzen begannen sich darauf einzustellen und entwickelten süße Säfte, um die Tiere an sich zu binden. Mit der Zeit passten sich beide, Bienen und Blütenpflanzen, immer besser aneinander an (Ko-Evolution): die Pflanzen entwickelten ihre heutigen Blütenformen mit tiefen Nektarkelchen und Staubfäden, die Bienen ihre langen Rüssel, um gut an den Nektar heranzukommen, und ihr speziell an den Pollentransport angepasstes Haarkleid. Ob Bienen sich ursprünglich von Pollen windbestäubter Pflanzen ernährten, ist ungewiss, aber schon mehrfach vermutet worden. Die älteste fossile Biene ist als Cretotrigona prisca bezeichnet und wurde - eingebettet in Bernstein - im amerikanischen Staat New Jersey gefunden. Der Fund ist auf ein Alter von ca. 75 bis 92 Millionen Jahren datiert. Bemerkenswert ist, daß das Tier in eine Tribus (Meliponini) eingegliedert werden kann, die ausschließlich staatenbildende Arten enthält, was auf eine sehr frühe Abspaltung der entsprechenden Teilgruppe schließen lässt. Ursprünglich wurde sie sogar in einer noch lebenden Gattung beschrieben.

Zur entscheidenden Entfaltung der Artenvielfalt kam es sowohl bei den Ameisen wie bei den soziallebenden Bienen vor 45 bis 40 Millionen Jahren im sogenannten "Eozän" (1, S. 1; 2-5). Die Artenvielfalt der soziallebenden Bienen war im Eozän in Europa viel größer als heute. Heute besteht nur noch 2 % der früheren Artenvielfalt fort (4), ein Trend, der analog wäre, so schreibt der Forscher Michael Engel zur Evolution der Hominiden. Eine kühne aber interessante These.

Abb. 4: Stammbaum der Gattungen der eusozialen Hautflügler (Hymenoptera - Ameisen, Bienen und Wespen).
Jeder unabhängige Ursprung von Eusozialität wird durch die unterschiedliche Farbgebung einer Abstammungsgruppe gekennzeichnet. Schwarze Linien: monogame Arten;
gepunktete rote Linien: Arten mit fakultativer, mäßiger Vielmännerei (>1 aber <2 br="" m="" nbsp="" nnchen="">durchgezogene rote Linien: Arten mit hoher Vielmännerei (> 2 Männchen) 

Vor 65 Millionen Jahren starben mit den Dinosauriern nicht nur viele Blütenpflanzen aus, sondern auch Bienenarten, die von diesen lebten (Spiegel 2013).

Wie sich die Evolution der modernen Formen der Vögel - Entenvögel, Sperlingsvögel und Singvögel - vor und nach dem Aussterben der Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren (dem so genannten K/T-Umbruch) gestaltet, scheint in der Forschung noch umstritten zu sein (Mayr 2013). Ein Fossil, das den Entenvögeln nahe steht, ist 68 bis 66 Millionen Jahre alt (Wiki). Klar ist, daß sich die eigentliche Artenentfaltung der Vögel - bei den Singvögeln von Australien aus - mehrere zehn Millionen Jahre nach dem K/T-Umbruch vollzogen hat.

Die Termiten - Ausbreitung vor 30 Millionen Jahren

Die Termiten (Wikiengl.) leben in allen wärmeren Erdregionen (bis hinauf nach Südfrankreich). Sie stammen von Tieren ab, die am ehesten den heutigen Kakerlaken, also Tieren wie der "Gemeinen Küchenschabe" ähnelten. Alle heutigen Termiten-Arten bilden - ohne Ausnahme - Staaten, bei denen die Tiere unterschiedlichen Kasten angehören und sich morphologisch unterscheiden. In einer der neuesten Studien über die Evolution der Höheren Termiten heißt es (13):

The termite fossil record dates back to 140 Ma (Engel et al. 2007), but a recent molecular analysis of 66 termite species placed the origin of Termitidae at only 54 Ma (Bourguignon et al. 2015). For this reason, the origin of Termitidae is believed to postdate the breakup of Pangaea and Gondwana.

Also es sind Insektenstaaten der Termiten - oder Vorläufer derselben - als Fossilien schon im Erdzeitalter des Jura nachgewiesen (vor 200 bis 150 Millionen Jahren). Aber die heutige Verbreitung der Termiten auf der Südhalbkugel begann nach diesem neuesten Forschungsstand erst vor 30 Millionen Jahre und zwar - so diese neue Studie - aus Afrika heraus ("Out of Africa") nach Südamerika und nach Indien (s. Abb. 5). Da sich die Kontinente damals schon lange getrennt hatten, können sich die Termiten nur über Treibholz ausgebreitet haben. Vor 15 Millionen Jahren haben sich die Termiten von Südamerika aus nach Südasien und Australien ausgebreitet, zugleich kam es auch zu Rückwanderungen von Indien aus nach Afrika (Abb. 5).

Abb. 5: Ausbreitung der Höheren Termiten über die Erde (aus: 13)

Nachdem sich die Termiten ausgebreitet hatten, konnten auf den Kontinenten jeweils auch mehrere Säugetier-Arten entstehen, die auf den Verzehr von Termiten und Ameisen spezialisiert waren oder sind. Der genaue zeitliche Abgleich zwischen dem Auftreten dieser Tierarten und der jeweiligen staatenbildende Insekten muß natürlich auch widerspruchsfrei erklärt werden.

Vorlauf im Jura

Aber wie gesagt, die frühesten staatenbildenden Termitenarten scheinen schon im Jura gelebt zu haben, danach aber ausgestorben zu sein. Im Jura herrschten auf der Erde Nadelbäume und Nacktsamer vor, es war die Zeit der ersten Blüte der Dinosaurier und des Archäopterix. Die Entstehung der Säugetiere hatte damals zwar schon einen langen Vorlauf in Übergangsphasen von den Reptilien ausgehend (Wiki). Unauffällig und abseits lebten wohl vor allem eierlegende Säugetiere schon im Jura. Zu diesen zeitlich parallel scheinen jedenfalls die Termiten die für die damalige Zeit vermutlich fortgeschrittenste soziale Lebensweise ausgebildet zu haben (Wiki):

The oldest unambiguous termite fossils date to the early Cretaceous, but given the diversity of Cretaceous termites and early fossil records showing mutualism between microorganisms and these insects, they likely originated earlier in the Jurassic or Triassic. Further evidence of a Jurassic origin is the assumption that the extinct Fruitafossor consumed termites, judging from its morphological similarity to modern termite-eating mammals.

Also schon im Jura finden sich auch Termiten-fressende Reptilien. Man möchte das Sozialleben der Termiten übrigens aus menschlicher und männlicher Sicht - bei aller weiter fortbestehenden Fremdheit - das "sympathischste" aller staatenbildenden Insekten nennen. Denn Königin und König leben nach ihrem Hochzeitsflug lebenslang zusammen, das heißt, die Königin ersetzt nicht ein lebendes Männchen durch eine Samenbank wie das bei den anderen staatenbildenden Insekten der Fall ist. Und auch in den Arbeiterkasten kommen Tiere beider Geschlechter zum Zuge. Da wird also nicht gegen männliche Tiere "diskriminiert" wie das sonst unter den staatenbildenden Insekten der Fall ist. Für unsere vormenschlichen Vorfahren in Afrika übrigens waren Termiten immer Leckerbissen. Schon für Schimpansen handelt es sich ja um eine eiweißreiche Delikatesse.

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  1. Grimaldi, David; Engel, Michael S.: Evolution of the Insects. Cambridge University Press, Cambridge 2005 (755 S.), 2014, 2018 (Amazon)
  2. Engel, Michael S., Grimaldi, David A., Krishna, Kumar: Primitive termites from the Early Cretaceous of Asia (Isoptera). In: Stuttgarter Beiträge zur Naturkunde. Serie B: 371, 2007, S. 1-32, https://www.researchgate.net/publication/237508583_Primitive_termites_from_the_Early_Cretaceous_of_Asia_Isoptera
  3. Vrsanansky, P.: Cockroach as the Earliest Eusocial Animal. In: Acta Geologica Sinica - English Edition. 84, 2010, S. 793-808, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1755-6724.2010.00261.x/abstract;jsessionid=097B2D841BD4C35E39F74E529DF07414.f02t01
  4. Vrsanky, P.; Aristov, D. (2014). "Termites (Isoptera) from the Jurassic/Cretaceous boundary: Evidence for the longevity of their earliest genera". European Journal of Entomology. 111 (1): 137-141 (EJE)
  5. Donat Agosti, David Grimaldi, James M. Carpenter: Oldest known ant fossils discovered. Nature 391, 447 (29 January 1998) doi:10.1038/35051, Published online: 29 January 1998, https://www.nature.com/articles/35051
  6. Grimaldi, D.; Agosti, D.: A formicine in New Jersey Cretaceous amber (Hymenoptera: Formicidae) and early evolution of the ants. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 97, 2999, S. 13678-13683, http://www.antwiki.org/wiki/images/a/a0/Grimald_%26_Agosti_2000.pdf
  7. Michael S. Engel: Monophyly and Extensive Extinction of Advanced Eusocial Bees: Insights from an Unexpected Eocene Diversity. PNAS Vol. 98, No. 4 (Feb. 13, 2001), pp. 1661-1664, http://www.pnas.org/content/98/4/1661.full.pdf
  8. Ohl, M.; Engel, Michael S.: Die Fossilgeschichte der Bienen und ihrer nächsten Verwandten (Hymenoptera: Apoidea). In: Denisia 20, Neue Serie 66 (2007): 687-700, https://www.zobodat.at/stable/pdf/DENISIA_0020_0687-0700.pdf
  9. Mayr, Gerald: The age of the crown group of passerine birds and its evolutionary significance - molecular calibrations versus the fossil record. Pages 7-13, Received 05 Dec 2012, Accepted 08 Jan 2013, Published online: 12 Feb 2013, http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/14772000.2013.765521
  10. Rehan SM, Leys R, Schwarz MP: First Evidence for a Massive Extinction Event Affecting Bees Close to the K-T Boundary. PLoS ONE 2013, 8(10): e76683. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0076683, http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0076683
  11. kbl: Forscher enträtseln prähistorisches Bienensterben - Zeitgleich mit Dinosauriern und vielen Pflanzen starben vor 65 Millionen Jahren auch Holzbienen fast vollständig aus. Spiegel, 24.10.2013, http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/kreide-tertiaer-grenze-bienen-starben-gleichzeitig-mit-dinosauriern-a-929559.html
  12. LaPolla, J. S. and D. E. Greenwalt: Fossil Ants (Hymenoptera: Formicidae) of the Middle Eocene Kishenehn Formation. Sociobiology. 62, 2015, S. 163-174. doi:10.13102/sociobiology.v62i2.163-174, http://periodicos.uefs.br/ojs/index.php/sociobiology/article/view/717/671
  13. Thomas Bourguignon Nathan Lo Jan Šobotník Simon Y.W. Ho Naeem Iqbal Eric Coissac Maria Lee Martin M. Jendryka David Sillam-Dussès Barbora Křížková: Mitochondrial Phylogenomics Resolves the Global Spread of Higher Termites, Ecosystem Engineers of the Tropics. Molecular Biology and Evolution, Volume 34, Issue 3, 1 March 2017, Pages 589–597, https://doi.org/10.1093/molbev/msw253, Published: 25 December 2016, https://academic.oup.com/mbe/article-abstract/34/3/589/2739698?redirectedFrom=fulltext
  14. David Peris RicardoPérez-de la Fuente, Enrique Peñalver, Xavier Delclòs, Eduardo Barrón, Conrad C. Labandeira: False Blister Beetles and the Expansion of Gymnosperm-Insect Pollination Modes before Angiosperm Dominance. In: Current Biology Volume 27, Issue 6, 20 March 2017, Pages 897-904, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0960982217301458
  15. Arbeitsteilung bei Ameisen schon vor über 100 Millionen Jahren, 25.2.2022, https://www.wissenschaft.de/erde-umwelt/arbeitsteilung-bei-ameisen-schon-vor-ueber-100-millionen-jahren/

Montag, 12. Februar 2018

Regionale Dialekt- und Fortpflanzungsgruppen innerhalb von Unterarten der Hausmaus

Die Forschungen von Professor Diethard Tautz am Max-Planck-Institut in Plön

Vier Tagen führte ich über Facebook eine intensivere private Diskussion mit einem recht kritischen Doktoranden im Bereich der deutschen Bronzezeit-Archäologie. Er begegnete meinen Thesen zur sozialen Komplexität bronzezeitlicher Gesellschaften im heutigen Mitteleuropa und von Fernhandel mit dem Mittelmeer mit sehr großer Skepsis. Ich argumentierte natürlich nicht zuletzt - wie schon oft auf dem Blog geschehen - mit der Hausmaus-Forschung. Aber seine Skepsis verunsicherte mich auch ein wenig und ließ mich auf Einwände kommen, die ich zuvor niemals bedacht hatte. Ich schrieb ihm unter anderem: 
".... Wenn die Hausmaus nicht an quasi-städtische Siedlungsweise gebunden wäre, müßte man erklären, warum die Hausmaus ab der Frühbronzezeit zwar in Südengland auftritt (aber nicht weiter nördlich) und warum sie - offenbar - auch in Skandinavien erst mit den dortigen ersten Städten und gut bezeugtem Fernhandel der Wikinger-Zeit auftritt - und nicht früher. (Ich glaube, man darf davon ausgehen, daß es keine Gen-Kultur-Koevolution in der Verhaltensgenetik der Hausmäuse gegeben hat, die dazu führte, daß sich Hausmäuse in der Bronzezeit anders verhalten haben als in der Wikingerzeit. Aber jetzt wo wir darüber reden, kommt mir der Gedanke, daß das natürlich auch der Fall sein könnte. Aber ich halte das bis auf weiteres erst einmal für unwahrscheinlich.)"
"Bis auf weiteres", so hatte ich erst vor vier Tagen geschrieben. Und dieses weitere tritt schon vier Tage später ein. Da halte ich nämlich die neueste Ausgabe des Wissenschafts-Magazins der Max-Planck-Gesellschaft in Händen. Und darin findet sich ein Artikel über brandneue (deutsche) Forschungen zur - man halte sich fest: Gen-Kultur-Koevolution der Hausmäuse (1).

Da werde ich wohl behaupten dürfen, daß ich begeistert bin.




Die in diesem Artikel behandelten Studien von Diethard Tautz warten mit einer Fülle von Neuerkenntnissen auf. Hausmäuse haben offenbar sogar innerhalb von Unterarten eigene lokale Pieps-Dialekte. Wobei die Weibchen offenbar viel mehr piepsen und über Lautäußerungen miteinander kommunizieren als die Männchen. Nämlich dann, wenn sie unter sich sind. (... Äähm, .... das kennt man doch irgendwoher ...)

Vermischt man Hausmäuse derselben Unterart aus Köln mit solchen aus dem französischen Zentralmassiv tun die das in der ersten Generation recht fröhlich. - - - In den Folgegenerationen aber wählen sie sich ihre Paarungspartner nach ihren väterlichen Vorfahren. Warum weiß noch kein Mensch.

Auch die Hausmäuse auf Helgoland paaren sich nur noch untereinander und so gut wie gar nicht mehr mit immer wieder auf Helgoland eintreffenden Neuankömmlingen derselben (westeuropäischen) Unterart.

Hausmäuse können sich auch innerhalb weniger Generationen genetisch an neue Lebensräume anpassen. Und das Verrückteste: Es konnte aufgezeigt werden, daß bei diesen genetischen Neuanpassungen neue Genabschnitte innerhalb der sogenannten Junk-DNA abgelesen werden. Hier stoßen wir also gleich auf einige der grundlegendsten, erst in den letzten Jahren bekannt gewordenen Mechanismen der Artbildung hinunter.

Die Erkenntnispotentiale der Hausmaus muß der Genetiker Allan C. Wilson schon voraus geahnt haben, als er jenen Aufsatz über die skandinavische Hausmaus schrieb, durch den auch ich selbst vor allerhand Jahren auf das spannende Thema Hausmaus gestoßen bin (2, 3).

Jetzt darf man also nur noch warten, daß sich endlich einmal der erste deutsche Archäologe der Hausmaus-Forschung zuwendet. Deutschland und Mitteleuropa sind archäologisch gesehen - soweit man das mitbekommt - fast der letzte weiße Fleck hinsichtlich der Hausmaus-Forschung innerhalb der weltweiten archäologischen Forschung.

Aber womöglich wird man über ancient-DNA bald auch direkt erforschen können, an welche Lebensweise und Umweltbedingungen Hausmäuse der Bronzezeit angepaßt waren. Wenn man denn nicht gar zu generelle Schlüsse ziehen will aus einem Überblick nach heutigem Kenntnisstand über die Weltgeschichte der Hausmaus auf jene Umwelten, in denen Hausmäuse in der Regel nur zu leben scheinen.

Ergänzung 6.7.2019

Den Professor Diethard Tautz hatte ich in ganz schlechter Erinnerung, da er während des Sarrazin-Debatte des Jahres 2010 und seither - wie man finden kann - unsägliche Argumente zusammen trägt, aufgrund deren er meint, zum Schluß kommen zu können, daß es angeborene Begabungsunterschiede zwischen Völker und Rassen beim Menschen nicht gäbe. Er ist seit 2009 Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Biologen (VBIO) und auf meine Kritik an der diesbezüglichen Stellungnahme dieses Verbandes seinerzeit (4) hat auch der geschätzte deutsche Intelligenzforscher Volkmar Weiß (Leipzig) positiv Bezug genommen in eigenen Stellungnahmen zu dem Thema.

In diesem Beitrag aber entdeckte ich, daß Diethard Tautz ANSONSTEN ja so "dumm" gar nicht ist wie er sich beim Thema Volks- und Rassenunterschiede beim Menschen gibt. Und ab Minute 18:30 eines neuen Vortrages aus dem Juni 2019 (5) berichtet Tautz etwa von der gänzlichen Vereisung der Erde (Schneeball-Erde) und weist auf Forschungsdaten hin, daß diese zu einer Beschleunigung der Evolution geführt haben könnte. Und zwar ablesbar an der Evolution der Genome. Die mit diesen Ausführungen geweckten Erwartungen werden aber im weiteren Vortrag dann doch nicht eingelöst. Man fragt sich auch, wie man über so viele so spannende Fragestellungen so vergleichsweise gelangweilt berichten kann. Am Ende des Vortrages (nach 1 Stunde und 9 Minuten) geht er auch kurz auf die Rasseunterschiede beim Menschen ein, und warum es die aus genetischer Sicht gar nicht geben könne ....

Ergänzt: 6.7.2019

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  1. Stolze, Cornelia: Eine Maus beißt sich durch. Die kleinen Nager als Modellsystem für die Arbeitsweise der Evolution. In: MaxPlanckForschung 4/2017, S. 56-63, https://www.mpg.de/11901153/W003_Biologie_Medizin_056-063.pdf, https://www.mpg.de/11901153/W003_Biologie_Medizin_056-063.pdf
  2. Gyllensten U., Wilson Allan C. (1987): Interspecific mitochondrial DNA transfer and the colonization of Scandinavia by mice. In: Genetical research , 49 (1), 1987, S. 25-29
  3. Bading, Ingo: Die Hausmäuse in der Weltgeschichte, 2008, https://studgendeutsch.blogspot.com/2008/05/die-hausmaus-in-der-weltgeschichte.html
  4. Bading, Ingo: Thilo Sarrazin: Unsägliche Stellungnahme des Dachverbandes deutscher Biologen. Staatsaffäre Sarrazin, 5. September 2010, https://studgenpol.blogspot.com/2010/09/unsagliche-stellungnahme-des.html
  5. Tautz, Diethard: Evolution und das Selbstverständnis des Menschen im Fokus. Vortrag bei der Rhein-Main-Regionalgruppe der Giordano-Bruno-Stiftung, 8. Juni 2019, https://youtu.be/0IbN2vckW7k, http://gbs-rhein-neckar.de/unsere-veranstaltungen/evolution-selbstverstaendnis-des-menschen-fokus
  6. Rebecca Winkels: „Die Genetik der Intelligenz entspricht nicht der Mendelschen Vererbungslehre”. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Diethard Tautz 5. September 2018, https://www.die-debatte.org/intelligenz-interview-tautz/
  7. Tautz, Diethard: Speciation 2010: Diethard Tautz - Mus musculus domesticus, 20.3.2014, https://youtu.be/0nZ3VFHnQcw

Freitag, 9. Februar 2018

Meine DNA-Verwandten

Neue Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten 
- Und der Aufruf: "Sequenziert Eure Gene! Der Preis kann kein Hinderungsgrund mehr sein."

Aus der Reihe "Meine Gene", Teil 4

Soeben ist eine interessante neue Studie veröffentlicht worden (1), die aus dem berühmten isländischen Genomprojekt "deCODE genetics" (Wiki), begründet von Kári Stefánsson (geb. 1949) (Wiki), hervorgegangen ist. Dieses haben wir hier auf dem Blog schon häufiger behandelt, weil es sich bei ihm seit mehr als zehn Jahren zumindest rein wissenschaftlich um das wichtigste Genomprojekt auf der Erde handeln dürfte.

Und diese neue Studie nun (1) ermutigt mich dazu, meine eigenen neuesten Erfahrungen mit Gensequenzierung und Stammbaumforschung der letzten Wochen zu referieren. Denn wir alle können jetzt bald Forschungen wie "deCODE genetics" machen. Bei meinen eigenen Forschungen ist mir nämlich genau dasselbe gerade erst bewußt geworden, was nun mit dieser neuen Studie so schön aufgezeigt wird. Nämlich daß man mit genügend Daten von genetischen Verwandten in der Gegenwart das Genom eines Vorfahren, der vor über hundert Jahren gelebt hat, rekonstruieren kann! Ich finde das sehr begeisternd. In uns selbst können wir "Archäologie" betreiben und brauchen nur die Puzzelteile, die ein jeweiliger Vorfahre in Form von Genabschnitten in uns hinterlassen hat, mit den Puzzelteilen zusammen setzen, die ein anderer entfernter genetischer Verwandter von diesem Vorfahren vererbt bekommen hat. Ich zeige unten wie leicht das ist.

Und genau das tut auch diese neue isländische Studie (1). Und sie wirft darum Licht auf die Möglichkeiten, die in dem isländischen Genomprojekt beschlossen liegen, und darauf, daß uns allen dieselben Möglichkeiten offen stehen, um so mehr Menschen ihre Gene sequenzieren lassen und die gewonnenen Daten mit anderen teilen, und um so mehr sie das auch mit Familien-Stammbaumforschung verbinden. Also um so mehr wir alle das gleiche machen, was das isländische Genomprojekt tut. Ich hoffe, daß es dafür bald Open Source-Internetseiten gibt. (Denn zum Beispiel auf "My Heritage" muß man zum dafür nötigen vollständigen gegenseitigen Vergleichen von Stammbäumen und Genomen etwa 100 Euro jährlich zahlen. Das muß doch mit Open Source-Programmen viel kostengünstiger möglich sein.)

Jedenfalls im folgenden mein Aufsatz wie er von mir schon geschrieben war, bevor ich gerade die neue isländische Studie (1) entdeckte. Auch mein bisheriger Entwurf war schon mit Erkenntnissen aus einer spannenden Studie eingeleitet worden, die aus dem isländischen Genomprojekt schon vor zehn Jahren, 2008, hervorgegangen war (2), und die ich schon damals hier auf dem Blog behandelt hatte (3).

Abb. 1: Beispiel von meiner Profilseite auf MyHeritage. Hier werden gemeinsame Chromosomen-Abschnitte aufgezeigt, die ich mit einem meiner DNA-Verwandten (Andreas T.) teile. Zugleich erfahre ich, daß wir beide den Familiennamen Bading unter unseren Vorfahren haben und unserer beider Vorfahren aus Dörfern aus dem Umland der Stadt Brandenburg an der Havel stammen. (Mehr Erläuterungen im Text)

Nach einer isländischen Studie aus dem Jahr 2008 (2) hatten auf Island über die Jahrhunderte hinweg Ehen zwischen Cousins und Cousinen dritten und vierten Grades mit einem Verwandtschaftgrad (r) zwischen 0.0625 und 0.0039, also mit 6,25 % bis 0,39 % gemeinsamen Genen, die höchste Nachkommenzahl. Man kann also davon ausgehen, daß dieser Verwandtschaftsgrad zwischen Ehepartnern nicht der ungünstigste sein wird. Die Ehepartner auf Island, die diese Ehen eingegangen sind, haben in der Regel von dieser ihrer Verwandtschaft aufgrund von Herkunft und gemeinsamen Genen gar nichts gewußt, sie haben sich also un-, bzw. unterbewußt gegenseitig nach diesem Verwandtschaftsgrad ausgesucht.

Besitzt man nun dieses Vorwissen und hat man seine Gene sequenzieren lassen, kann man sich auf den jeweiligen Internetseiten (zum Beispiel "23andme", "MyHeritage") die dort angezeigten "DNA-Verwandten" ("DNA-Relatives"), "DNA-Matches" genauer anschauen. Das hatte ich bisher noch nie gemacht, da ich mir den durch (2) aufgezeigten Zusammenhang noch nicht genügend bewußt gemacht hatte, bzw. nicht gemerkt hatte, daß die Angabe von 6 % gemeinsamer Gene ja einem solchen Verwandtschaftsgrad entspricht! "DNA-Verwandte", bzw. "DNA-Matches" sind auf diesen Internetseiten Menschen, die beim jeweiligen Sequenzierungs-Anbieter ebenfalls ihre Gene haben sequenzieren lassen, und von denen einem nun aufgrund rein statistischer Auswertung angezeigt wird, wie viele Gene man mit ihnen gemeinsam hat. 

Ich finde dort zunächst - oh Wunder - daß ich mit meiner eigenen Mutter 47,7 % meiner Gene teile. Das ist natürlich meine nächste DNA-Verwandte, die sich ihre Gene in den letzten Monaten hat sequenzieren lassen. (Aber man frage mich jetzt bitte nicht, warum nicht genau 50 %.) Außerdem finde ich, daß schon zwei meiner Vettern ebenfalls ihre Gene hatten sequenzieren lassen und mir als solche Vettern 1. Grades dort angezeigt werden.

Aber die nächstnahe Verwandtschaft über diese engeren Verwandten hinaus ist ja nun - wie an der isländischen Studie von 2008 (2) abzulesen - auch interessant. Und nicht nur hinsichtlich von Heiratsmarkt ....

1. Fall: Rodd E.

Auf 23andme wird mir diesbezüglich nun zunächst ein Mensch angezeigt mit Namen "Rodd E.", mit dem ich 0,97 % meiner Gene teile, also fast 1 %. Das entspricht einem Verwandtschaftsgrad r von grob 0,01. Und das ist ja nicht wenig. Man kann es erstaunlich finden, daß sich unter den vielen Kunden dieser Firma - vor allem in den USA - einigermaßen willkürlich (?) eine so hohe genetische Verwandtschaft mit mir hier in Deutschland findet. Dieser Verwandtschaftsgrad fällt jedenfalls bestens in den Bereich evolutionär günstiger Heiratspartner für mich. Wir teilen aber weder die mütterliche mitochondriale noch die väterliche Y-chromosomale Haplogruppe. Ich schrieb ihm:

It is interesting that we have a share of nearly 1 % of DNA in common. Do you like to talk about that? May be it would be interesting to know something about your forebears. I am from Germany.

Es wird angezeigt (ähnlich wie in Abb. 1), daß wir gemeinsame Genabschnitte haben auf den Chromosomen 8, 11, 12, 13 und 17. Und wenn man allmählich mitbekommt, aufgrund welcher Zusammenhänge solche Gemeinsamkeiten zustande kommen können (siehe nächster Fall), muß ich ja fast annehmen, daß wir gemeinsame Vorfahren haben. Aber welche? Leider hat er mir noch nicht geantwortet.

Ergänzung 2.10.2019: Indem ich mir die Beta-Version des neu eingeführten "Family Tree" auf 23andme" ansehe, wird mir gerade schlagartig klar, wie auch die Verwandtschaft mit Rodd zustande kommt, nämlich ähnlich wie im folgenden Fall mit Sylvia. Wir stammen alle von Geschwistern ab, deren Eltern die Eheleute Morley und Locker aus Leeds waren. Sylvia stammt von Alice Morley ab (geboren 1858), ich von ihrer Schwester Mary (geboren 1864) und Rodd und seine inzwischen hinzugekommene Schwester Tanya G. stammen von einer weiteren Schwester oder einem weiteren Bruder dieser Schwestern ab (St.gen.).

2. Fall: Sylvia I. aus Ontario, Kanada

Bei der nächsten angezeigten DNA-Verwandten habe ich das inzwischen schon klären können, da sie dankenswerter Weise gleich geantwortet hat. Es ist dies die etwa 80-jährige Sylvia I. aus Ontario in Kanada. Ich sah sie schon seit über einem Jahr als DNA-Verwandte auf 23andme angezeigt. Aber wie gesagt, war mir bisher gar nicht klar, welche Bedeutungen man diesem Umstand zusprechen kann. Sie gab an, daß ihre Vorfahren aus Großbritannien stammen, daß es aber auch Verbindungen mit Deutschland gab. Sie hat auch ihren Stammbaum verfügbar gemacht. Das wird - wie etwa auf Facebook - freigeschaltet für jene, für die sie es freischalten möchte, deshalb denke ich, daß ich hier auch den Link dazu einstellen kann (MyHeritage). 

Als Länder, in denen ihre Vorfahren gelebt haben, nannte sie schon auf ihrem 23andme-Profil England, Schottland und Irland. Unter den Familiennamen, die sie schon dort als jene benannte, , die in ihrem Stammbaum vorkommen, finden sich lauter britische, die mir ansonsten unbekannt sind. Aber ich entdecke einen Familiennamen, den wir in unseren Stammbäumen gemeinsam haben. Und zwar ist dies der Familienname Morley. Mütterlicherseits stamme ich zurück in der Mitte des 19. Jahrhunderts nämlich unter anderem ab von einer Engländerin namens Morley, die auf Neuseeland geboren wurde und als junges Mädchen nach Deutschland gekommen war und dort einen Deutschen mit Familiennamen von Samson-Himmelstjerna geheiratet hatte. Es war dies der Leibarzt des Fürsten Pleß in Pleß in Oberschlesien. Dort ist noch meine eigene Großmutter 1910 geboren worden (weil ihre Mutter sich von ihrem Vater hatte entbinden lassen). Von dieser Morley-Vorfahrin habe ich und haben alle meine Verwandten über die mütterliche Seite auch unsere Mitochondrien! Zum Glück hat einer meiner Onkel den Stammbaum schon seit Jahren sehr intensiv bearbeitet (MyHeritage), wo ich dann feststellen kann: Sylvia I. und ich stammen beide von dem jungen Ehepaar Morley-Locker aus Leeds in England ab, dem 1858 in Sneulou Mautra, Neuseeland die älteste Tochter Alice geboren wurde. Diese heiratete später einen Hadgkinson. Und von diesen beiden stammt Sylvia I. ab. Hadgkinson war im auswärtigen diplomatischen Dienst in Deutschland tätig, deshalb ist einer seiner Söhne in Deutschland geboren worden. 1864 wurde dem genannten jungen Ehepaar in Otahuhu, Auckland auf Neuseeland eine zweite Tochter geboren. Und bei ihr handelt es sich um meine Vorfahrin Mary Morley, spätere verheiratete von Samson Himmelstjerna, die Urgroßmutter meiner Mutter. Ich schrieb deshalb an meine neu entdeckte Verwandte Sylvia in Kanada:

It is interesting to know that we share 0,68 % of our genes. I am from Germany, but my mothers great-grandmother has been a woman from England with family name Morley. Her father has been William Henry Morley (1834-1917), born in Leeds, died in Quito, Ecuador. He had a lot of children (10) together with Elizabeth Morley, born Locker. His eldest daughter was Alice Hadgkinson (geb. Morley), born in Sneulou Mautra, New Zealand 1858. Maybe this is one of your great-grandmothers? It would be interesting to exchange some thoughts about that. 

Und Sylvia I. hat wie gesagt sehr schnell und außerordentlich interessiert geantwortet. Sie berichtet noch von einigen Details ihrer eigenen Familiengeschichte, die sie zwischenzeitlich herausbekommen hatte über ihren Urgroßvater Hadgkinson, den britischen Diplomaten in Deutschland. Und sie erzählt, daß man sich in ihrer Familie einer entfernten deutschen Verwandtschaft bewußt gewesen ist. Nun, vielleicht kann man sich künftig einmal gegenseitig besuchen. Aber nun halte man sich einmal fest, was man alles herausbekommen kann, wenn man sich einigermaßen sicher ist, daß man gemeinsame Vorfahren hat. Unsere gemeinsamen Gene liegen nämlich auf Chromosom 16 und 17. Und das ist die Erkenntnis, die mir bei dieser Gelegenheit zum ersten bewußt wird: Man kann also sagen, daß unsere gemeinsamen Vorfahren, die Eheleute Morley/Locker (der Ehemann war britischer Forschungsreisender) auch diese Gene auf Chromosom 16 und 17 hatten. Jetzt müßte man nur noch schauen, welche Gene das sind und man wüßte schon wieder einiges mehr auch über diese Vorfahren. Und man merkt dabei: Um so mehr Menschen mitmachen würden bei diesen DNA-Tests, um so mehr könnte man auch über die Gene ganz entfernter Vorfahren heraus bekommen! Ist das nicht verrückt?!

3. Fall: Andreas T. aus Deutschland

Die nächste auf 23andme angezeigte DNA-Verwandte wäre zur Zeit eine Abigail A. (vermutlich aus den USA), mit der ich 0,44 % gemeinsame Gene habe. Ich habe sie angeschrieben aber noch keine Antwort erhalten. Auf MyHeritage ist es dann weiterhin ein Andreas T. aus Deutschland, mit dem ich 0,4 % der Gene teile (Abb. 1). Ihm habe ich geschrieben anhand jener Daten, die auf MyHeritage für DNA-Verwandte zur Verfügung gestellt sind, wenn jemand dort auch schon seinen Stammbaum eingestellt hat (wie es hier der Fall ist):

Hallo Herr T.,
alle Ihrer acht Urgroßeltern wurden in der Stadt Brandenburg an der Havel geboren oder ihrem näheren Umfeld. Ihre Großmutter war eine Martha Helene Bading (1893-1960), geboren in Kade bei Genthin. Ich selbst (geb. 1966) stamme aus einer Familie Bading in Bahnitz an der Havel, 18 Kilometer nördlich von Kade. Fast all meine Vorfahren väterlicherseits stammen aus den Dörfern grob zwischen Bahnitz und Zollchow im Elb-Havel-Winkel. 
Und nun teilen wir außerdem 0,4 % unserer Gene auf unseren Chromosomen 2, 8 und 12. Ob man heraus bekommen kann, worauf diese Gemeinsamkeit beruht?
Mein Vater war Ahnen- und Ortsfamilienbuch-Forscher, der auch mit anderen Familienforschern der Region in Kontakt stand. Und mir klingt in den Ohren als ob die Familiennamen Giese und Kabelitz, die in Ihrem Stammbaum vorkommen, ihm keine Unbekannten waren. In Bensdorf und Kirchmöser haben wir auch Vorfahren (vor allem Familienname Parey).
Es wäre nun interessant zu erfahren, ob unsere genetischen Gemeinsamkeiten erklärt werden können aufgrund direkt nachweisbarer Verwandtschaft oder einfach aufgrund des Herstammens aus derselben Region, in der es auf dem Lande vermutlich über Jahrhunderte hinweg wenig genetischen Zufluß von außen gegeben hat, wodurch es viele Heiraten zwischen weit entfernten Verwandten gegeben haben könnte, wodurch sich dann bei uns so viele gemeinsame Chromosomen-Abschnitte "angereichert" haben können.
Ich bin jedenfalls gerade überrascht und fasziniert von den Möglichkeiten der Gensequenzierung und ihrer Kombination mit Stammbaum-Forschung. Auch über den mütterlichen Stammbaum (in Österreich) habe ich da in den letzten Tagen schon interessante Entdeckungen gemacht. Da stellte sich ein gemeinsamer Genanteil von 0,4 % als Folge direkter genetischer Verwandtschaft heraus.
Vielleicht haben Sie Lust, sich darüber auszutauschen.

Auf eine etwaige Antwort bin ich schon sehr gespannt. - Da etwa die Hälfte der angezeigten DNA-Verwandten auch Fotos von sich hoch geladen haben, kann man übrigens auch desweiteren mit einigem Erstaunen feststellen, daß 0,3 % gemeinsame Gene doch auch einen sehr unterschiedlichen Phänotyp mit sich bringen kann. Ich als Mensch vorwiegend nordeuropäischer Herkunft finde unter ihnen zum Beispiel auch eine sehr mediterran aussehende Frau aus Portugal, die - nach MyHeritage - 0,3 % ihrer Gene mit mir teilt. Da darf man gespannt sein auf die weiteren Erfahrungen, die man bezüglich solcher Dinge noch mit seinen DNA-Verwandten machen kann.

Ein neuer Heiratsmarkt? - Nutzen für die Partnerwahl

Alle diese Zusammenhänge werden zur Zeit noch nicht unter "Genetic Matchmaking" (Wiki, engl.) behandelt, auch offenbar nicht von Firmen, die DNA-Tests zur Partnerfindung anbieten (soweit das zumindest meine bisherige Recherche ergibt). Aber wenn erst einmal viele Menschen ihre Gene sequenziert haben werden und wenn sie ihre Daten auf Open-Source-Internetseiten geteilt haben werden, wird man gerne unter ihnen auch nach Heiratspartnern suchen können. ;) Jedenfalls habe ich damit wieder einmal mich sehr faszinierende Möglichkeiten der "Consumer Genetics" entdeckt, sprich der modernen "Mitmach-Genetik". Es gab übrigens schon mehrere frühere Beiträge hier auf dem Blog zur Auseinandersetzung mit meinem persönlichen Genom-Daten (siehe: "Meine Gene" Teil 1Teil 2 und Teil 3).

Abschließend ein Aufruf 

Als Schlußfolgerung dieser Ausführungen habe ich heute auch noch eine Rundmail an alle mir persönlich bekannten Menschen geschrieben. Womöglich macht es Sinn, ihre wesentlichsten Inhalte auch noch einmal hier einzustellen:

Btr.: Liebe Leute, laßt Eure Gene sequenzieren, insbesondere die älteren und ältesten unter Euch!
Bitte entschuldige es jeder, wenn er unaufgefordert diese Email bekommt. Ich hoffe, daß Ihr derselben trotzdem etwas entnehmen könnt, das für Euch interessant ist. Ich selbst habe meine Gene vor einem Jahr bei der Firma 23andme für 150 Euro sequenzieren lassen, die Gene drei weiterer enger Familienmitglieder habe ich in den letzten Wochen für je 70 Euro bei MyHeritage.com sequenzieren lassen. Ich glaube, bei solchen Preisen muß nun niemand mehr warten mit der Gensequenzierung, daß sie noch günstiger wird.
Auf dem Internetblog "TheDNAGeek" wird auch ganz aktuell ein Überblick gegeben über den gegenwärtigen Preiswettkampf zwischen den wichtigsten Firmen diesbezüglich (TheDNAGeek, 8.2.2018). Wie man dort sehen kann, liegt man also mit MyHeritage nicht schlecht. Außerdem ist bei MyHeritage auch gleich die Stammbaum-Forschung möglich (bei 23andme nicht). Und außerdem kann man die Rohdaten auf Promethase oder dem deutschen OpenSNP (Bastian Greshake) hochladen und hat dann auch den dazugehörigen Gesundheitsreport. Alles Dinge, die inzwischen leicht und routiniert zu machen sind. (Ach, übrigens, für diese Werbung werde ich nicht bezahlt. Trotzdem könnten sich MyHeritage oder 23andme gerne dafür erkenntlich zeigen! :-) )
Um so mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, um so mehr versteht man, daß um so mehr mitmachen, wir alle auch um so mehr herausbekommen, nicht nur über uns selbst, sondern auch über unsere Vorfahren. Und zusätzlich kann die Gensequenzierung einem auch die besten Heiratspartner liefern (s.o.). Und ich glaube, wenn man sich mit diesen "DNA-Verwandten" beschäftigt und mit ihnen in Austausch kommt, was über 23andme und MyHeritage nun außerordentlich erleichtert ist, kann man auch sonst viel über Genetik und Verhaltensgenetik von einzelnen Menschen, Familien und größeren Bevölkerungen lernen.
Ich hoffe, daß es für solche hervorragenden Internetseiten wie MyHeritage bald Open-Source-Angebote gibt. Denn es wird immer deutlicher: Um so mehr mitmachen, um so mehr haben alle etwas davon, um so mehr kann jeder einzelne lernen.
Insbesondere möchte ich die älteren Menschen unter den Empfängern bitten, möglichst bald Eure Gene sequenzieren zu lassen. Eure Kinder und Nachkommen - oder die Kinder von Euren genetischen Verwandten - also wir alle - werden es Euch danken. In späteren Zeiten wird einmal jemand Euer - möglichst gut ausgefülltes - Profil auf MyHeritage oder 23andme finden und Dinge über Euch herausbekommen, die ihr SELBST noch nicht wußtet. (Weil die Forschung dann mehr über Eure Gene weiß als sie es heute weiß.)
Die jüngeren unter Euch sollten ihre Eltern und älteren Verwandten bitten und auffordern und ihnen helfen dabei, ihre Gene sequenzieren zu lassen. Vermutlich werdet Ihr oder Eure Nachkommen oder die Nachkommen Eurer Verwandten es später bereuen, wenn es nicht rechtzeitig geschehen ist.
Unsere Gene sind neben dem kulturellen Erbe, das wir an unsere Kinder weiter geben, der größte Schatz, den wir haben. Wir sollten ihn mehr ehren als das bislang geschehen ist und auch geschehen konnte.
Noch eine Zusatzbemerkung für Menschen, in deren Familien nachweisbar Hochbegabungen vorgekommen sind. Bei ihnen könnte es noch einmal doppelt so viel Sinn machen, ihre Gene sequenzieren zu lassen. Vielleicht wollen wir ja gerade über solche Hochbegabungen besonders viel lernen. Ich glaube jedenfalls, daß es einer Gesellschaft gut täte, über solche Hochbegabungen mehr zu lernen.
Das glaubte auch schon der Bruder von Charles Darwin, Francis Galton, als er sein berühmtes Buch "Hereditary Genius" schrieb, das ins Deutsche von einem Sozialdemokraten übersetzt wurde schon in der Zeit vor 1914. Und das glaubte auch die Ehefrau von Erich Honecker, als sie den Intelligenzforscher Volkmar Weiß mit Hochbegabtenforschung und der Erforschung der Vererbung von Hochbegabungen beauftragte (da es in der DDR aufgrund der Fluchtbewegungen in den Westen insbesondere an Hochbegabungen fehlte). Ich vermute, daß Volkmar Weiß diesen Ausführungen aus vollstem Herzen zustimmen wird. Er leitet ja das Zentralregister der Ortsfamilienbücher in Leipzig, das auch die Erforschung von Familienstammbäumen erleichtern soll.
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  1. Anuradha Jagadeesan, Ellen D. Gunnarsdóttir, S. Sunna Ebenesersdóttir, Valdis B. Guðmundsdóttir, Elisabet Linda Thordardottir et al.: Reconstructing an African haploid genome from the 18th century. Nature Genetics, 50/2018, 15. Januar 2018, pp199-205, doi:10.1038/s41588-017-0031-6, https://www.nature.com/articles/s41588-017-0031-6. https://www.researchgate.net/publication/322507343_Reconstructing_an_African_haploid_genome_from_the_18th_century
  2. Helgason A, Pálsson S, Guðbjartsson DF, Stefánsson K, Kristjánsson T (2008) An association between the kinship and fertility of human couples. Science 319(5864):813-816
  3. Bading, Ingo: Genetische Verwandtschaft - ein wichtiger Faktor auch auf Gruppenebene? Studium generale, 30. August 2008, http://studgendeutsch.blogspot.de/2008/08/genetische-verwandtschaft-ein-wichtiger.html
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